Bauvertragsrecht: Einschränkung des Rechts zur mängelbedingten Kündigung vor Abnahme gem. § 4 Abs. 7 VOB/B


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Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 19. Januar 2023 (Az. VII ZR 34/20) entschieden, dass die Kündigungsmöglichkeit der § 4 Abs. 7 Satz 3 VOB/B (sowie die darauf rückbezogene Regelung gem. § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 VOB/B) dem gesetzlichen Leitbild widerspricht, weshalb die Kündigungsmöglichkeit wegen unangemessener Benachteiligung des Auftragnehmers unwirksam ist.
 
 

I. Sachverhalt

In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall wurde die Auftragnehmerin mit Straßen- und Tiefbauarbeiten im Rahmen des Ausbaus einer Stadtbahnlinie beauftragt. Hierzu unterzeichneten die Parteien im Oktober 2004 ein  Verhandlungsprotokoll, in dem unter anderem die VOB/B (2002). Diese wurden mit einigen Abweichungen in den Vertrag einbezogen. Im Zuge der Bauausführung war zwischen den Parteien streitig, ob sich die vom Auftragnehmer geschuldete Betonfestigkeitsklasse B 25 auf den Beton im Lieferzustand oder im eingebauten Zustand bezieht. Schließlich rügte die
Auftraggeberin die Qualität des auf einem bestimmten Straßenabschnitt eingebauten Betons und forderte die Auftragnehmerin unter Androhung der Kündigung zur fristgerechten Mängelbeseitigung auf. Die AN kam der Aufforderung zur Mängelbeseitigung, die Kosten in Höhe von ca. EUR 6.000,00 verursacht hätten, nicht nach. Die Auftraggeberin kündigte der Auftragnehmerin den Bauvertrag. Nebst Klagen auf wechselseitige Ansprüche stritten die Vertragsparteien darüber, ob die von der Auftragnehmerin ausgesprochene Kündigung eine freie Kündigung nach § 8 Nr. 1 VOB/B (2002) bzw. eine berechtigte Kündigung aus wichtigem Grund nach § 8 Nr. 3 Abs. 1 Satz 1 VOB/B (2002) war. In diesem Zusammenhang berief
sich der Auftragnehmer auf die Unwirksamkeit von § 4 Nr. 7 Abs. 3 VOB/B (2002) wegen Verstoßes gegen AGB-Recht.
Während das erstinstanzliche Gericht die Kündigung als freie Kündigung wertete und in der Folge die auf Zahlung der Ersatzvornahmekosten gerichtete Widerklage abwies, beurteilte das Berufungsgericht die Kündigung anders: es bewertete die Kündigung als Kündigung aus wichtigem Grund. Entsprechend sah das Berufungsgericht die wegen der Kündigung auf die Ersatzvornahmekosten gerichtete Widerklage dem Grunde nach gerechtfertigt an. Mit der vom BGH zugelassenen Revision begehrte die Auftragnehmerin die Aufhebung des Urteils der Berufungsinstanz und die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.
 
 

II. Die Entscheidung des BGH

Der BGH hat entschieden, dass im hiesigen Fall die AGB-Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB anzuwenden war, denn der Bauvertrag bezog die VOB/B nicht in unabgeänderter, sondern in (wenn auch nur leicht) abgeänderter Form mit ein, was die Inhaltskontrolle eröffnete. Dies begründete der BGH unter Bezugnahme auf seiner ständige Rechtsprechung damit, dass jede vertragliche Abweichung von den Klauseln der VOB/B, unabhängig davon, welches Gewicht die Abweichung hat, dazu führt, dass eine Inhaltskontrolle eröffnet ist. Ob evtl. benachteiligende Regelungen im vorrangigen Vertragswerk möglicherweise durch andere Regelungen „ausgeglichen“ werden, sei in diesem Zusammenhang unerheblich. Im Rahmen der vom BGH durchgeführten Inhaltskontrolle gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB legte der BGH die Klausel gem. § 4 Nr. 7 Abs. 3 VOB/B (2002) dahingehend aus, dass auch bei geringfügigen Mängeln bereits die Kündigung eröffnet ist. Maßgeblich für die Auslegung des BGH war der gem. § 305c Abs. 2 BGB anzuwendende Grundsatz der kundenfeindlichsten Auslegung, denn Zweifel bei der Auslegung einer formularmäßig verwendeten Klausel gehen zu Lasten des Verwenders (hier der Auftraggeberin). Die Lösungsmöglichkeit vom Bauvertrag bei geringfügigsten Mängeln stelle eine Ungleichbehandlung des Auftragnehmers dar, weshalb die Kündigungsmöglichkeit der § 4 Abs. 7 Satz 3 VOB/B (sowie die darauf rückbezogene Regelung gem. § 8 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 VOB/B) unwirksam sei. Dies begründete der BGH v.a. mit dem gesetzlichen Leitbild des § 314 BGB für ab dem 01.01.2002 abgeschlossene Verträge vor Einführung von § 648a BGB, dass Voraussetzung einer Kündigung aus wichtigem Grund ist, dass der Auftragnehmer durch ein den Vertragszweck gefährdendes Verhalten die vertragliche Vertrauensgrundlage derart erschüttert haben muss, dass dem Auftraggeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Es müssten also zu den geringfügigen Vertragswidrigkeiten noch weitere Vertragswidrigkeiten hinzutreten, die es dem Auftraggeber unzumutbar machen, an dem Vertrag mit dem Auftragnehmer festzuhalten.
 
 

III. Hinweis für die Praxis

Der langwährende Streit zwischen Rechtsprechung und Literaturmeinungen, ob die Regelung gem. § 4 Nr. 7 Satz 3 VOB/B wegen unangemessener Benachteiligung des Auftragnehmers wirksam ist oder nicht, hat sich mit dem vorliegenden Urteil geklärt. Entsprechend ist in der Vertragsgestaltung penibel darauf zu achten, dass entweder die VOB/B in unabgeänderter Form in den Vertrag mit einbezogen werden, sodass eine Inhaltskontrolle gem. § 307 BGB versperrt ist, oder die (abgeänderte) VOB/B in einem zwischen den Parteien ausgeglichenen und ausverhandelten Maße mit in den Bauvertrag mit einbezogen werden. Denn der BGH stellt auch an individualvertragliche Regelungen sehr hohe Anforderungen.

 

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