Das Energiesicherungsgesetz
Der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine, der seit dem 24. Februar 2022 geführt wird, hat neben unendlichem menschlichem Leid auch massive wirtschaftliche Verwerfungen herbeigeführt. Die europäischen Energiemärkte reagieren besonders empfindlich auf diese Zäsur. Durch die infolge des Krieges deutlich reduzierten
Erdgaslieferungen aus Russland haben die Gas- und Strompreise bisher ungekannte Höhen erreicht, schwanken
unkalkulierbar und belasten seitdem die Industrie- und Versorgungsunternehmen sowie die privaten Haushalte. Ein Grund dafür ist die historisch gewachsene Abhängigkeit Deutschlands von russischen Energieträgern, allen voran bisher günstiges Erdgas. Die Bundesregierung hat zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um den daraus resultierenden wirtschaftlichen Beeinträchtigungen entgegenzuwirken. Das rechtspolitische Kernstück dieser Bemühungen bildet die Novellierung des Gesetzes zur Sicherung der Energieversorgung bei Gefährdung oder Störung der Einfuhren von Mineralöl oder Erdgas, das Energiesicherungsgesetz (EnSiG).
Die erste Fassung des Energiesicherungsgesetzes ist unter dem Eindruck der Ölkrise von 1973 geschaffen worden, als die Importabhängigkeit der westlichen Industriestaaten vom Rohöl aus dem Nahen Osten über Nacht deutlich wurde. Bis auf zahlreiche formelle Änderungen blieb es bis in die Gegenwart unangetastet. Erst im Verlauf von nunmehr 4 Änderungsgesetzen, beginnend mit der Novelle vom 20. Mai 2022, wurde es den neuen Realitäten angepasst.
Das novellierte EnSiG sieht im Wesentlichen 4 Bewältigungsmechanismen für energiepolitische Krisen vor. Neben reaktiven Möglichkeiten, wie der Übernahme kritischer Versorgungsinfrastruktur durch den Bund, Preisanpassungsrechten und finanzwirtschaftlichen Stabilisierungsinstrumenten wurden auch Regelungen für Präventivmaßnahmen getroffen.
So kann das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz nun ein Energieunternehmen unter die Treuhandverwaltung
des Bundes stellen, wenn zu befürchten ist, dass es seine Funktion für das Gemeinwesen im Energiesektor nicht erfüllen wird und eine Beeinträchtigung der Versorgungssicherheit droht. Diese Regelung ist bereits zur Anwendung gekommen, als der Bund zum 16. September 2022 die deutschen Tochterfirmen des russischen Konzerns Rosneft unter die Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur gestellt hat. Das bekannteste Beispiel bildet aktuell wohl die Treuhandverwaltung und im November erfolgte Verstaatlichung der ehemaligen Gazprom Germania (heute SEFE Securing Energy for Europe GmbH). Diese erfolgte jedoch ursprünglich auf Grundlage des Außenwirtschaftsgesetzes und erst die Verstaatlichung griff auf das EnSiG zurück.
Als schärfstes Schwert sieht das EnSiG die Enteignung von Energieunternehmen gemäß §§ 18 ff. EnSiG vor. Diese
Vorschriften sind bisher noch nicht zur Anwendung gekommen.
Daneben regelt § 24 EnSiG ein individuelles Preisanpassungsrecht, mit dem Energieversorgungsunternehmen ihre Preise auf ein „angemessenes Niveau“ anheben dürfen. Die Lieferanten sind gegenüber ihren Kunden häufig an langfristige Verträge zu festen Preisen gebunden. Da die ursprünglich ebenfalls langfristigen Bezugsverträge faktisch Geschichte sind, müssen die Energieträger wegen der aktuellen Lage immens verteuert auf den Spotmärkten eingekauft werden. Daraus resultiert entlang der Gaslieferkette ein hohes Insolvenzrisiko. Die dafür erforderliche Feststellung der Bundesnetzagentur, wonach eine erhebliche Reduzierung der Gasimportmengen nach Deutschland eingetreten sein muss, wurde noch nicht getroffen. Das Preisanpassungsrecht ist also noch nicht scharf geschaltet.
Die wohl wesentlichsten Auswirkungen hat aktuell der § 29 EnSiG, der Unternehmen der kritischen Infrastruktur im Energiesektor den Zugang zu Stabilisierungsmaßnahmen des Bundes erleichtern soll, die darauf abzielen, eine positive Fortbestehensprognose im Sinne des Insolvenzrechts zu sichern oder wiederherzustellen. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz ist für Anträge und Verhandlungen zum Erlass dieser Maßnahmen zuständig. Die erforderlichen finanziellen Mittel werden aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfond bezogen, der ursprünglich zur Bankenrettung in der Finanzkrise 2008 aufgelegt wurde. Uniper SE, eine zentrale Säule der deutschen Erdgasversorgung, ist aktuell das prominenteste Beispiel dafür.
Letztlich sieht das EnSiG noch eine Verordnungsermächtigung des Bundes vor, um Maßnahmen zur Prävention eines Krisenfalls zu treffen. Diese wurden in Gestalt der Kurz- und Mittelfristenergieversorgungssicherungsmaßnahmenverordnungen (EnSikuMaV und EnSimiMaV) getroffen. Darin finden sich Regelungen, die Energiesparmaßnahmen verpflichtend vorschreiben. Diese reichen von einem Heizverbot für den privaten Pool bis hin zu einer Pflicht für Unternehmen mit einem durchschnittlichen Gesamtenergieverbrauch von mehr als 10 Gigawattstunden pro Jahr, ihre Energieeffizienz professionell bestätigen zu lassen.
Ursprünglich sollten die gestiegenen Energiepreise über das im Energiesicherungsgesetz verankerte „saldierte Preisanpassungsrecht“ in Gestalt einer Gasumlage durch alle Kunden kollektiv getragen werden. Nach massiver Kritik an
diesem Vorgehen nahm die Bundesregierung die Gasumlage per Aufhebungsverordnung zurück. Stattdessen legte sie im Rahmen des Wirtschaftsstabilisierungsfonds einen sog. „Schutzschirm“ im Wert von EUR 200 Mrd. auf, der unter anderem eine Gas- und Strompreisbremse ab März 2023, aber mit Rückwirkung für Januar und Februar 2023 finanzieren soll. Ein entsprechender Gesetzesentwurf wurde durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz am 22. November 2022 als „Erdgas-Wärme-Preisbremsengesetz“ (EWPGB) in den Bundestag eingebracht.
Anmerkung: Das Energiesicherungsgesetz gibt dem Bund eine ganze Reihe von Maßnahmen zur Bewältigung von
Energiekrisen an die Hand. Am intensivsten konzentriert sich der Staat aktuell auf Stabilisierungs- und Sicherungsmaßnahmen. Durch die Treuhandverwaltung über die Tochterunternehmen von Rosneft sowie die Verstaatlichung der SEFE GmbH und die quasi Verstaatlichung der Uniper SE durch Anteilserwerb sind wichtige Teile der kritischen Versorgungsinfrastruktur in staatlicher Hand. Das soll die Versorgungssicherheit der Unternehmen entlang der Gaslieferkette, aber auch der Privathaushalte gewährleisten. Bisher sind noch nicht alle vorgesehenen Maßnahmen zum Einsatz gekommen. Die nächsten Monate werden zeigen, ob weitere Instrumente des Energiesicherungsgesetzes, etwa das Preisanpassungsrecht zur Anwendung gelangen müssen.
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