Konkreter Blindgängerverdacht stellt im Grundstückskaufrecht einen offenbarungspflichtigen Sachmangel dar


| Tags: Immobilien / Bauen / Planen


Amtliche Leitsätze:

1. Ein über einen bloßen Mangelverdacht hinausgehender, offenbarungspflichtiger Sachmangel (hier: Blindgängerverdachtspunkt auf dem Nachbargrundstück) liegt vor, wenn dieser zu einer verkehrserheblichen Einschränkung der Nutzung des veräußerten Grundstücks führt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn Bauvorhaben auf dem veräußerten Grundstück einer vorhergehenden Anzeige bedürfen und behördliche Anordnungen, etwa eine Untersuchung
des Grundstücks mittels Bohrungen, nach sich ziehen können.

2. Der Feststellung von Arglist i.S. § 444 BGB steht nicht entgegen, dass die Verkäuferseite die Käufer über die Existenz eines objektiv offenbarungspflichtigen Sachmangels nicht aufklärte, weil sie diesen als unbedeutend ansah.

 

I. Sachverhalt

Der Käufer eines Grundstücks macht gegenüber den Verkäufern Mängelgewährleistungsansprüche geltend. Die Parteien schlossen am 23.10.2020 einen notariell beurkundeten Kaufvertrag, in dem die Rechte des Käufers wegen eines Sachmangels ausgeschlossen worden sind. Am Tag nach der Beurkundung ist der Käufer von den Eltern der Verkäufer (=den Voreigentümern Grundstücks) erstmalig darüber informiert worden, dass sich auf dem unmittelbar an die vom Käufer erworbenen Flurstücke F2, F4 und F3 angrenzenden Flurstück F1, nahe der Grenze zum als Zuwegung genutzten Flurstück F4, lein sog. Blindgängerverdachtspunkt, d.h. ein Verdachtspunkt für eine Einschlagstelle von nicht detonierten Kampfmitteln („Bombenblindgänger“), befindet. Diesbezüglich hatten die Stadt und die Voreigentümer, bereits im Jahr
2019 eine umfassende Korrespondenz geführt. Im Rahmen einer von der Stadt beabsichtigten Überprüfung des Verdachtspunkts waren u.a. Bohrungen auf dem Flurstück F4 geplant. Eine Überprüfung des Verdachtspunkts fand jedoch nicht statt. Auf eine Anfrage des Käufers hin, teilte die Stadt mit, dass jegliche Baumaßnahmen innerhalb eines Radius von 20 m um den Blindgängerverdachtspunkt herum einer vorherigen Kontaktaufnahme mit der Behörde erfordern. Der Käufer ist der Ansicht, dass die Existenz des sog. Blindgängerverdachtspunkts auf dem Nachbarflurstück einen Sachmangel des erworbenen Grundstücks darstelle. Der Blindgängerverdachtspunkt führe zu einer verkehrserheblichen Einschränkung
der Nutzung seines Grundstücks. Zum einen bestünde das Risiko der Detonation des Blindgängers, wodurch das Kaufgrundstück in Mitleidenschaft gezogen werden könne. Zum anderen müsse bei jeder geplanten Baumaßnahme im Bereich des Verdachtspunkts immer zuvor die Stadt kontaktiert werden, um die Baumaßnahme genehmigen zu lassen. Außerdem könne die Stadt jederzeit eine Untersuchung des Verdachtspunkts anordnen, was zwangsläufig zu erheblichen Eingriffen in das Kaufgrundstück durch Bohrungen oder ähnliche Maßnahmen führe und mit erheblichen Kosten verbunden
sei.

 

II. Entscheidungsgründe des OLG Hamm

Das OLG Hamm hat entschieden, dass die Existenz eines sog. Blindgängerverdachtspunkts auf einem Nachbarflurstück einen offenbarungspflichtigen Mangel darstellt. Für die rechtliche Wertung kommt es nicht entscheidend darauf an, dass derzeit nur ein Verdacht des Vorhandenseins eines Blindgängers und kein „akuter Handlungsbedarf“ besteht. Anders als in den „Altlastenfällen“ oder „Kontaminationsfällen“ kommt es vorliegend nicht darauf an, ob ein (allein) bestehender Mangelverdacht einen offenbarungspflichtigen Sachmangel darstellen kann. Denn allein der Blindgängerverdachtspunkt führt zu einer verkehrserheblichen Einschränkung der Nutzung des Grundstücks, welche einen über den bloßen Mangelverdacht hinausgehenden Sachmangel begründet. Über den Blindgängerverdachtspunkt als Sachmangel hätten die Verkäufer den Käufer aufklären müssen. Allein die etwaige Kenntnis von dem Umstand, dass der Bereich, in dem das streitgegenständliche Grundstück liegt, im zweiten Weltkrieg unter Beschuss gestanden hat und die abstrakte Möglichkeit des Vorhandenseins eines Blindgängers besteht, begründet keine  entsprechende Nachforschungspflicht des Käufers. Die Verkäufer haben die ihnen obliegende Aufklärungspflicht nicht erfüllt und den Sachmangel arglistig verschwiegen.

 

III. Praxistipp

Die Entscheidung behandelt die „Schnittstelle“ zwischen einem Sachmangel und einem (bloßen) Sachmangelverdacht und stellt klar, dass allein der Verdachtspunkt einen offenbarungspflichtigen Sachmangel begründen kann, wenn hierdurch die Verwendung bzw. Nutzung des Kaufgegenstandes beeinträchtigt wird. In Verbindung mit der Ablehnung einer Nachforschungspflicht für den Fall, dass dem Käufer die abstrakte Möglichkeit des Vorhandenseins eines Blindgängers bekannt ist (weil der Käufer weiß, dass der Bereich, in dem das Grundstück liegt, im zweiten Weltkrieg unter Beschuss gestanden hat), bringt die Entscheidung insgesamt die eine Stärkung der Käuferposition mit sich. 

 

Bei Rückfragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.

Sprechen Sie uns an!

 

Philipp Zschaler

Rechtsanwalt

Detlev Stoecker

Rechtsanwalt, Notar

Dr. Jasper von Detten

Rechtsanwalt, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht

Lukas Habekost, LL.M.

Rechtsanwalt, Notar

Zvi Tirosh

Rechtsanwalt