Die virtuellen Optionsrechte unterliegen regelmäßig einer sogenannten Vesting-Periode. Der Begriff Vesting stammt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie „Erwerb“ oder „Unverfallbarkeit“ eines Anspruchs. In Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen bezeichnet Vesting den schrittweisen Erwerb von Rechten an virtuellen Aktienoptionen oder anderen Bonusansprüchen. Die Vesting-Periode ist der Zeitraum, über den die gewährten virtuellen Anteile nach und nach „verdient“ werden, bis sie unverfallbar sind. Dies stellt der Anreizfunktion folgend sicher, dass Mitarbeitende nicht sofort über alle Optionen verfügen, sondern diese erst nach einer gewissen Betriebszugehörigkeit oder nach Erreichen bestimmter Unternehmensziele erhalten. Erst nach Ablauf dieser Frist können die Optionen ausgeübt werden.
Darüber hinaus nutzen viele Unternehmen in ihren Verträgen sogenannte Good-Leaver / Bad-Leaver-Klauseln um festzulegen, ob und wann ein Mitarbeitender seine virtuellen Anteile behalten darf:
Good-Leaver: Wer das Unternehmen unverschuldet verlässt (z.B. Rente, Krankheit, betriebsbedingte Kündigung), darf seine gevesteten Optionen behalten und nach den ursprünglichen Bedingungen ausüben.
Bad-Leaver: Wer selbst kündigt oder aus wichtigem Grund gekündigt wird, verliert häufig seine gesamten virtuellen Optionen – auch bereits gevestete.
BAG: Virtuelle Optionen als VergĂĽtungsbestandteil
Zur Wirksamkeit von Verfallsklauseln hat sich das (BAG) nun deutlich positioniert. Mit Urteil vom 19. März 2025 (Az. 10 AZR 67/24) hat das (BAG) klargestellt, dass bereits gevestete virtuelle Optionen Vergütung für erbrachte Arbeitsleistung sind. Der vollständige Verfall gevesteter Optionen bei Eigenkündigung des Arbeitnehmers sei daher unwirksam.
Der Kläger war von April 2018 bis August 2020 bei der Beklagten beschäftigt. Im Jahr 2019 erhielt er 23 virtuelle Optionsrechte, die einem Vesting-Plan unterlagen. Zum Zeitpunkt seiner Kündigung waren 31,25 % der Optionen bereits gevestet, d.h. unverfallbar verdient. Die Vertragsbedingungen des VESOPs sahen vor, dass alle gevesteten Optionen im Fall einer Eigenkündigung des Arbeitnehmers ersatzlos verfallen.
Das BAG entschied, dass diese Klausel den Arbeitnehmer unangemessen benachteiligt und daher gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam ist. Die Begründung:
Laut BAG sind ferner Klauseln unwirksam, nach denen gevestete Optionen schneller verfallen, als sie erworben wurden. Unter welchen Voraussetzungen künftig ein Abschmelzen bereits gevesteter Anteile noch möglich ist, lässt sich der Pressemitteilung nicht entnehmen. Näheres könnte sich aus den Entscheidungsgründen ergeben, die bisher nicht vorliegen.
Mit dieser Entscheidung weicht das BAG von seiner früheren Rechtsprechung ab (Urteil vom 28. Mai 2008, Az. 10 AZR 351/07), die den Verfall gevesteter Optionen bei Kündigung für zulässig erachtet hatte. Das BAG war bisher der Auffassung, dem Arbeitnehmer werde keine bereits erdiente Vergütung, sondern nur eine Verdienstchance entzogen. Der Grundsatz, dass bereits erdienter Lohn nicht mehr entzogen werden darf, werde dadurch nicht durchbrochen. Könnte ein Arbeitnehmer auch nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses oder nach seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis während eines nachfolgenden Ausübungszeitraums Rechte aus dem Aktienoptionsplan ausüben, würde dies der mit Aktienoptionen verbundenen Zielsetzung einer langfristigen Verhaltenssteuerung und eines Anreizes für künftigen Einsatz und Bindung an das Unternehmen widersprechen.
Hinweis zur Besteuerung:
Wirtschaftlich betrachtet stellen die VergĂĽtungen aus den virtuellen Optionen ein Entgelt fĂĽr die in der Vergangenheit geleistete Arbeit dar. FĂĽr die Frage des BesteuerungsÂzeitpunkts ist entscheidend, wann ein Arbeitnehmer ĂĽber den gewährten Vorteil wirtschaftlich verfĂĽgen kann, d.h. wann ihm der Vorteil tatsächlich zuflieĂźt (z.B. Trigger-Event bei Beteiligung am Gewinn oder an Exit-Erlösen). Dies bedeutet, dass es nicht bereits bei Einräumung der virtuellen Optionen zu einer Anfangsbesteuerung, sondern erst bei deren ErfĂĽllung zu einer Endbesteuerung kommt. Die steuerliche Behandlung stellt sich hingegen bei typischen gesellschaftsrechtlichen Beteiligungen, die z.B. ĂĽber eine vermögensverwaltende KG gehalten werden, grundlegend anders dar (vgl. BFH v. 14.12.2023, VI R 1/21 u. VI R 2/21). Arbeitgeber sollten in jedem Fall sicherstellen, dass entsprechende Mitarbeiterbeteiligungsprogramme vor der Implementierung steuerlich analysiert und bei späterem Zufluss der Zahlungen korrekt lohnsteuerlich und sozialversicherungsrechtlich eingeordnet werden. Dies gilt insbesondere bei grenzĂĽberschreitenden Sachverhalten, da eine ggf. erforderliche Aufteilung der Besteuerungsgrundlage teilweise sehr komplex und fehleranfällig ist.
Was gilt fĂĽr nicht gevestete virtuelle Optionen?
Für bisher nicht gevestete Optionen dürfte sich durch die neue Rechtsprechung des BAG nichts ändern. Nicht gevestete Optionen sind noch nicht erdient und gelten daher nicht als Vergütungsbestandteil im Sinne des § 611a Abs. 2 BGB. Arbeitnehmer haben keinen rechtlichen Anspruch auf diese Optionen bis sie die Vesting-Bedingungen (z.B. Mindestbetriebszugehörigkeit) erfüllen. Nicht gevestete Optionen sind keine Gegenleistung für erbrachte Arbeit. Unternehmen können in den Vesting-Plänen weiterhin vorsehen, dass nicht gevestete Optionen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen.
Hinweis zur Besteuerung:
Der Verfall nicht gevesteter Optionen löst grundsätzlich keine steuerlichen Konsequenzen aus. Dennoch sollten Unternehmen dokumentieren, dass die AnsprĂĽche tatsächlich nicht entstanden sind und dem Arbeitnehmer hieraus keine Zahlungen zugeflossen sind, um spätere Diskussionen mit in- oder ausländischen FinanzÂverwaltungen zu vermeiden.
Virtuelle Optionen von Auslandsgesellschaften: Gerichtsstand und anwendbares Recht
Häufig werden virtuelle Aktienoptionen jedoch nicht vom Arbeitgeber direkt, sondern von einer ausländischen Konzerngesellschaft gewährt werden. Meistens gehen diese Optionen mit einer Rechtswahl des anwendbaren Rechts zugunsten des ausländischen Rechts sowie einer Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten des allgemeinen Gerichtsstandes des ausländischen Konzerns einher. Die herrschende Meinung sah entsprechende Regelungen als wirksam an.
In seinem Urteil vom 5. Dezember 2018 (Az. 8 U 50/17) entschied das Oberlandesgericht Hamm, dass deutsche Gerichte für die Klage eines ehemaliger Mitarbeiters gegen die ausländische Konzernmutter auf Übertragung von Aktienoptionen international nicht zuständig sind, sofern der Aktienoptionsvertrag rechtlich selbstständig neben dem Arbeitsverhältnis mit der deutschen Tochtergesellschaft steht. Rechtlich selbstständig ist der Vertrag dann, wenn die Vereinbarungen nicht Teil des Arbeitsvertrages sind und das Vertragsunternehmen nicht der direkte Arbeitgeber ist. Sofern deutsche Gerichte zuständig seien, so seien nicht die Arbeitsgerichte, sondern die Zivilgerichte zuständig.
Ob an dieser Auffassung mit Blick auf die neue Rechtsprechung des BAG uneingeschränkt festgehalten werden kann, erscheint fraglich. So dürfen gem. Art. 8 Abs. 1 Satz 2 der Rom I-Verordnung (VO (EG) Nr. 593/2008) Arbeitnehmer nicht den Schutz zwingender arbeitsrechtlicher Vorschriften ihres gewöhnlichen Beschäftigungsstaates verlieren. Sofern gevestete Optionen in Deutschland als Vergütungsbestandteil zu bewerten sind, könnten auch von ausländischen Konzerngesellschaften gewährte VESOPs dem Schutz zwingender deutscher arbeitsrechtlicher Vorschriften unterliegen und die deutsche Arbeitsgerichtsbarkeit wäre international zuständig.
GrenzĂĽberschreitende Besteuerungsfragen bei internationalen VESOPs:
Bei von ausländischen Konzerngesellschaften gewährten virtuellen Optionen kommt es in aller Regel zu grenzüberschreitenden Besteuerungsfragen. Da hier einerseits in- und ausländische Steuergesetze und Verfahrensrechte berücksichtigt werden müssen und andererseits die Sichtweisen der jeweiligen Finanzverwaltungen in unterschiedlichen Jurisdiktionen sich deutlich unterscheiden können, ist auch aus steuerrechtlicher Sicht eine sorgfältige Planung vorzunehmen. Auch die Frage der Quellenbesteuerung sowie die Anwendbarkeit von Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) ist in solchen Konstellationen regelmäßig zu prüfen.
Fazit
Das BAG-Urteil vom 19. März 2025 stärkt die Rechte von Arbeitnehmern. Gevestete virtuelle Optionen sind Bestandteil der Vergütung und ein vollständiger Verfall bei einer Eigenkündigung ist unzulässig. Unternehmen sollten ihre Mitarbeiterbeteiligungsprogramme sorgfältig prüfen und an die Rechtsprechung anpassen. Besonderes Augenmerk sollte dabei auch auf Mitarbeiterbeteiligungsprogramme ausländischer Konzerngesellschaften geworfen werden und geprüft werden, ob die neue Rechtsprechung des BAG diese ebenfalls betrifft.
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Cord Vernunft und Dr. Marco Ottenwälder